Karl Horst Hödicke
Palais Populaire
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9.10.2020–5.4.2021
K. H. HÖDICKE
PALAIS POPULAIRE
In the early 1960s, the painter K. H. Hödicke (born in
Nuremberg in 1938) was one of the spokespeople for a small group of impetuous
young lateral thinkers who wanted to revolutionise painting. No sooner had
German post-war modernism rejoined the international artistic trend towards the
abstract than they revolted against this new doctrine with a revival of
figurative painting, which had been declared obsolete. The retrospective K. H.
Hödicke at the PalaisPopulaire provides an insight into an almost inexhaustible
artistic oeuvre. The combination of drawing, painting and sculpture
demonstrates that K. H. Hödicke is undoubtedly a modern classic, albeit with a
decades-long career that has retained its freshness and relevance.
In 1959 he began to study painting in Berlin at the
Academy of Fine Arts, graduating in 1964. The former metropolis of Berlin,
divided by the Iron Curtain into an eastern and a western zone, was at this
time also culturally caught in the crosshairs of the conflicting political
interests of the great powers. In the midst of this Cold War political ice age,
Tachisme, Informel and Abstract Expressionism had just conquered the studios of
West German academies as the universal visual language of the free West, only
to freeze into an academic style. Individual young students like Hödicke
opposed the decreed, regulated freedom of abstract art with provocatively
realistic visual worlds. With his surprisingly fresh, contemporary visual
worlds, Hödicke, like other artists of his generation, abruptly sets himself
apart from the paternal generation of the abstract. His early big-city subjects
focused on motif extracts, which he titled reflections, and which distinguish
his unmistakable signature. Painted with a dynamic-flowing gesture that
oscillates between form and non-form, they shine with luminous and expressive
colour.
Ten years later, K. H. Hödicke was appointed professor
at the West Berlin Academy of Fine Arts in 1974. His direct style of painting
would have a formative influence on a whole generation of subsequent artists,
who became known as the Neue Wilde in the 1980s. K. H. Hödicke himself still
lives and works in the Berlin, whose unique insularity he appreciated for so
long.
His painting today has outlived fleeting phenomena,
and ranks among the established greats of recent art history, providing one of
the most important reference points for young contemporary artists.
The retrospective K.H. Hödicke, which after its
premiere at the Staatliche Graphische Sammlung München is now on view in Berlin
presents the artist’s core creative phases from the early 1960s on. This is the
first time that Hödicke has given a curator the opportunity to assess all the
works in his possession over a period of two years, to group works together and
to compile them thematically according to a particular curatorial direction.
For example, the “Informel Room” illustrates not only the break with the
tradition but also his continued productive engagement with non-objective
painting. The “Berlin Suite” shows he is not merely a chronicler of Berlin, but
rather fascinated by the city’s unique life-force which he is drawn to
document.
The focus of the exhibition is on K. H. Hödicke’s
large-format paintings on paper from the 1970s and 1980s, in which he recorded
his artistic research over two decades. He also speaks of them as “trial runs”,
in which he composes motifs, varies them in series, and comes up with ever new
artistic solutions during the working process.
The paintings on paper were preceded by so-called DIN
A4 drawings from the late 1960s to the late 1970s, which occupy a special
position in the work cycle of small-format drawings. Their pictorial ideas
appear as a contemporary documentation of this decade. Comprised of more than
140 drawings, 80 of which are on display in the exhibition, the present DIN A4
catalogue is devoted exclusively to this group of works.
K. H. HÖDICKE
PALAIS POPULAIRE
Der Maler K. H. Hödicke (*1938 Nürnberg) zählt zu Beginn der 1960er-Jahre
zu den Wortführern einer kleinen Gruppe ungestümer jugendlicher Querdenker, die
die Malerei revolutionieren wollen. Kaum dass die deutsche Nachkriegsmoderne
wieder Anschluss an internationale künstlerische Tendenzen der Abstraktion
gefunden hat, begehren sie gegen diese neuerliche Doktrin auf und halten mit
einer Renaissance der für obsolet erklärten figurativen Malerei dagegen. Die
retrospektiv angelegte Ausstellung K. H. Hödicke im PalaisPopulaire gibt einen
Einblick in ein nahezu unerschöpfliches künstlerisches Werk und demonstriert in
der Zusammenschau von Zeichnung, Gemälde und Skulptur, dass K. H. Hödicke heute
zweifellos zu den Klassikern gehört, sein Jahrzehnte übergreifender Werklauf
aber hat seine Frische und Aktualität bewahrt.
1957 war der jugendliche Hödicke nach Berlin gekommen. Zuvor hatte er die
prägenden Jahre seiner Kindheit und Jugend nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
in München verbracht. Hier macht der Farbenrausch der Künstlergruppe Der Blaue
Reiter bei seinen vielen Besuchen im Lenbachhaus tiefen Eindruck auf ihn.
Daneben entdeckt und begeistert er sich in der Pinakothek für die malerische
Freiheit der alten Meister. Künstlerische Maxime, die sein eigenes Schaffen
zukünftig bestimmen werden.
1959 beginnt er in Berlin ein Studium der Malerei an der Hochschule für
Bildende Künste, das er 1964 mit dem Diplom abschließt. Die durch den Eisernen
Vorhang in eine Ost- und eine Westzone geteilte ehemalige Metropole Berlin
steht in diesen Zeiten in besonderem Maß auch kulturell im Fadenkreuz
gegensätzlicher politischer Interessen der Großmächte. Gerade erst haben
inmitten der politischen Eiszeit des Kalten Kriegs Tachismus, Informel und
Abstrakter Expressionismus als universelle Bildsprachen einer freien westlichen
Welt die Malklassen westdeutscher Akademien erobert, um alsbald zu einem
akademischen Stil zu erstarren, da begehren einzelne junge Studierende wie
Hödicke mit provozierend realistischen Bildwelten gegen diese verordnete
reglementierte Freiheit zur Abstraktion auf. Mit seinen überraschend
unverbrauchten zeitgenössischen Bildwelten setzt sich Hödicke wie auch andere
Künstler*innen seiner Generation abrupt von der Vätergeneration der Abstrakten
ab. Seine frühen auf Motivextrakte konzentrierten Großstadtsujets, die er mit
Reflexionen betitelt, zeichnen seine unverkennbare Handschrift aus. Gemalt mit
einem dynamisch-fließenden Gestus, der zwischen Form und Nichtform oszilliert,
erstrahlen sie in einer leuchtend-expressiven Farbigkeit.
Zehn Jahre später wird K. H. Hödicke 1974 selbst zum Professor an die
Westberliner Hochschule für Bildende Künste berufen. Seine direkte Malerei
sollte prägend werden für eine ganze Generation nachfolgender Künstler*innen,
die in den 1980er-Jahren als Neue Wilde firmieren. K. H. Hödicke selbst lebt
und arbeitet noch immer in der Stadt, deren insulares Eigenleben er so lange
schätzte. Seine Malerei zählt heute, jenseits flüchtiger Phänomene, zu den
gesetzten Größen der jüngeren Kunstgeschichte und aktuell zu den wichtigen
Referenzen für junge künstlerische Positionen der Gegenwart.
Die retrospektiv angelegte Ausstellung K.H. Hödicke, die nach ihrer
Premiere in der Staatlichen Graphischen Sammlung München nun in Berlin zu sehen
ist, stellt zentrale Werkphasen des Künstlers ab den frühen 1960er-Jahren vor.
Erstmals hat Hödicke damit einem Kurator die Möglichkeit gegeben, die in seinem
Besitz befindlichen Werke über einen Zeitraum von zwei Jahren vollständig zu
sichten, Werkgruppen zu bündeln und unter bestimmten kuratorischen Aspekten
thematisch zusammenzustellen. Beispielsweise veranschaulicht ein
„Informel-Saal“ neben dem Bruch auch seine fortgesetzte produktive
Auseinandersetzung mit der gegenstandslosen Malerei. Oder eine „Berlin-Suite“
veranschaulicht, dass er nicht als Berlin-Chronist zu verstehen ist. Eher ist
es ein genuines Lebensgefühl, das ihn an dieser Stadt fasziniert und das er
dokumentiert.
Im Fokus der Ausstellung stehen K. H. Hödickes großformatige Malereien auf
Papier der 1970er- und 1980er-Jahre, in denen er über zwei Jahrzehnte hinweg
seine künstlerischen Recherchen festhält. Er spricht von ihnen auch als
„Trainingsläufe“, in denen er Motive komponiert, in Serien variiert und während
des Arbeitsprozesses zu immer neuen künstlerischen Lösungen kommt.
Den Malereien auf Papier gehen sogenannte DIN-A4-Zeichnungen aus den späten
1960er- bis späten 70er-Jahren voraus, die im Werklauf der kleinformatigen
Zeichnungen eine Sonderstellung einnehmen. Ihre Bildideen erscheinen wie ein
Zeitdokument dieses Jahrzehnts. Mit mehr als 140 Zeichnungen, von denen 80
Blätter in der Ausstellung zu sehen sind, ist der vorliegende Katalog DIN A4
ausschließlich dieser Werkgruppe gewidmet.Komplettiert werden die Papierarbeiten durch eine Auswahl seiner
sogenannten Croquis-Studien auf vorgefundenen Kartonpappen, die in einer kurzen
intensiven Schaffenszeit in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren
entstehen. In diesen Studien reduziert Hödicke einmal mehr sein Kolorit und
bringt mit wenigen Pinselstrichen eine Bildidee auf den Punkt.
Der Fülle an Werken auf Papier wird eine konzentrierte Auswahl malerischer
Hauptwerke aus der Serie Reflexionen aus der Mitte der 1960er-Jahre und
Spiegelungen aus den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren gegenübergestellt,
ergänzt um einige wenige charakteristische Gemälde der 1980er- und frühen
1990er-Jahre sowie nicht zuletzt einer Gruppe kleinformatiger Bronzen.